Kammern des Schreckens

Freitag, 3. Januar 2014

Das Zimmer der Klischees wird (endlich) geputzt!

Jürgen Ahrens: Wie deutsch ist das denn?! - Die populärsten Irrtümer über Deutschland und die Deutschen



Die Fülle an Klischees über die Deutschen ist enorm. Weißwürste, Sauerkraut, Hawaii-Toast, Frikadellen und auch einige Nicht-Lebensmittel lassen alle "Sowas von deutsch!"-Alarmglocken im Hinterstübchen schrillen. Kann es jedoch sein, dass diese Dinge nicht so deutsch sind, wie wir denken? Kann es sogar sein, dass sie vielmehr höchst multikulturell, gar international angesehen werden müssten?


Jürgen Ahrens deckt auf. Deckt auf, räumt auf. Mit den Klischees über die Deutschen. In mehreren alphabetisch sortierten Kapiteln geht er außerordentlich detailliert auf das Bild ein, welches Ausländer, aber auch wir selber von uns im Kopf haben. Viele der Inhalte kamen mir mehr als nur bekannt vor. 

Pünktlichkeit, um ein Beispiel zu nennen. Wem fällt dieses Wort nicht recht schnell ein, wenn er an die Deutschen denkt? 

Da ich aber persönlich fast jeden Morgen zu spät zur Schule komme, weil meine Bahn sich einfach nicht an ihre Ankunftszeiten halten will, dachte ich mir schon länger, dass da was faul sei.
Dass der Stammtisch eine deutsche Erfindung sei, wäre mir jedoch im Traum nicht eingefallen. Für einige der Kapitel gehöre ich vermutlich einfach nicht in die richtige Interessengruppe, Altersgruppe, was auch immer. So faszinierten mich einige der Themen, andere eher weniger - die fand ich dann eher langweilig. Das ist ein sehr subjektiver Kritikpunkt, wie man unschwer erkennt. 

Ich habe mich zuvor eher oberflächlich mit deutschen Klischees befasst; die populärsten schwimmen, ob bewusst oder unbewusst, ohnehin mit uns allen in derselben Badewanne. Nicht selten hört man Kinder sich gegenseitig "Kartoffel" nennen. Inzwischen ist allgemein bekannt, woher die Knolle kam, die enge Bindung zum Deutschen lässt sich trotzdem kaum wegdenken. "Wie deutsch ist das denn?!" ist sicherlich eine wunderbare Grundlage, sich mit der Heimat zu befassen.

Wenn die Neo-Nazis wüssten, wie multikulturell, wie international ihre vermeintlich urdeutschen Wurzeln sind! Es gäbe so viel mehr Akzeptanz und Toleranz auf der Welt, würde man sich endlich als durcheinanderfließendes Ganzes erkennen.
Was das angeht, kann man dem Buch sogar sehr moralische, auch philosophische Botschaften entnehmen, was ich toll finde.

Der Autor schreibt recht flüssig, oft ironisch und sehr humorvoll, sodass das Lesen fast nie fad wird. Es wird jedoch so penibel zum Ursprung jeder einzelnen Sache gegraben, so genau deren Entwicklung dargestellt, mit so einer Großzügigkeit werden alle erdenklichen Zahlen und Namen erwähnt, dass man zwischendurch meint, den Überblick zu verlieren. Die enorme Recherchearbeit, die hinter dem Werk stecken muss, verdient selbstverständlich großen Respekt. 


Wer jedoch erwägt, nach der Lektüre als Besserwisser erster Klasse hervorgehen zu können, sollte seinen Eifer zügeln. Klar, mit einem fotografischen Gedächtnis kann jeder imponieren. Ich als Normalo wäre jedoch von mir selbst überrascht, könnte ich jetzt auch nur einen Namen in Verbindung mit einer Jahreszahl und dem passenden Klischee bringen. 

Drum halten wir unsere Erwartungen etwas niedriger. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Ahrens Besserwisser hervorbringen will. Schon die alphabetische Sortierung der einzelnen Kapitel zeigt ja, dass es sich nicht um ein Sachbuch handelt, das man in einem Rutsch lesen soll. Die Kapitel bauen auch nicht aufeinander auf. Wenn einem gerade ein spezielles Thema zum Deutschlandbild einfällt, kann man dieses ganz einfach nachschlagen. Deshalb würde ich "Wie deutsch ist das denn?!" als Nachschlagewerk wärmstens empfehlen!
Wenn man ein bestimmtes Thema genauestens untersuchen will, kann man gut auf die Informationen des Autors zurückgreifen. Man muss ja keineswegs jedes der Themen komplett gelesen haben. 

Fazit: Ein originelles Nachschlagewerk für alle angehenden Putzteufel im deutschen Klischee-Zimmer!


(Quelle: randomhouse)

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