Kammern des Schreckens

Sonntag, 18. Mai 2014

Eine Liebeserklärung an starke Frauen

Mara Laue
Dalmore Jazz

Ein Edinburgh-Krimi mit Rowan Lockhart
(Quelle: Dryas-Verlag)

Nachdem Rowan schweren Herzens Japan und ihren geliebten Ehemann verlassen muss, gelingt es ihr nicht sofort, wieder Fuß in ihrer schottischen Heimat zu fassen. Ihr Kindheitsfreund, Bill, führt sie sanft zu ihren Wurzeln zurück, und doch ist sie eine andere Frau als zuvor: als Togakure-ryu-Großmeisterin beherrscht sie ihre Sinne auf eine Art, wie man sie beinahe als übersinnlich bezeichnen könnte. Dennoch handelt es sich nicht um einen Superhelden- sondern um einen Kriminalroman. Rowan ist Privatermittlerin und ihr neuester Fall könnte ihr einige Werbung einbringen. Die berühmte Band Dalmore Jazz vermisst ihre legendäre Gründungsflasche. Der verdächtigte Stalker wird jedoch ermordet aufgefunden. Hängen die Ereignisse miteinander zusammen?

Es ist, meiner Meinung nach, immer wieder schön, wenn Krimis in ausgewogenen Maßen Persönliches (der Ermittler) und Rätselhaftes in sich vereinen. Das ist hier sicherlich der Fall. Zugleich muss darauf hingewiesen werden, dass die Autorin mit einem Umweg über Japan und Reaktorkatastrophen und höchste Kampfkünste Kreativität beweist. Ich jedenfalls habe von solch einer Mischung noch nichts gelesen.

Mara Laue fehlt noch diese gewisse Sensibilität für Wiederkehrendes, auch einmal Weglassenswertes. Ihr scheint so viel an dem zu liegen, was sie mitteilen will, dass sie das Kürzen zu vergessen scheint.
Rowan, das ist mir bewusst, ist eine außergewöhnliche Figur und Frau. Nicht gerade ein Genie, aber klug und wirklich interessant. Das muss deshalb aber nicht ständig wiederholt werden, schließlich will ich mich nicht mit der Protagonistin verkuppeln lassen. Sehr viel erhabener würde sie noch wirken, wenn man sie nicht derart anpries.
Trotzdem wirken ihre Fähigkeiten realistisch, besonders nachdem man die Anmerkungen gelesen hat, in welchen näher auf die spezielle Kampfkunst eingegangen wird. Die extreme Sinnesschärfung geht so weit, dass Rowan die Stimmung der mit ihr Anwesenden genau deuten kann. 

Schleierhaft war mir lange, weshalb sie so gar nichts von dem schlecht gehüteten Geheimnis ihres Freundes Bill mitbekommt, wo er sie doch schon seit Urzeiten verehrt. Freundlicherweise nahm die Autorin sich Zeit, um dieses Verständnisproblem aus der Welt zu schaffen, nur so viel: selbst dieser Umstand ist psychologisch durchdacht. Was zeigt, welch ernsthafte Recherche hinter dem Roman und den Figuren steckt, nicht nur kriminalistische, oder geographische, auch psychologische Recherchearbeit.

Auf meiner Seite besteht großer Bedarf, mehr über Figuren zu erfahren, die man tatsächlich lieb gewinnen kann. Glücklicherweise gibt es schon Vorgänger und bald auch Nachfolgebände, die mir sehr reizvoll erscheinen. Man merkt der Autorin ihren eigenen liebevollen Umgang mit den Charakteren an und dass Themenbereiche sich auch mit ihren eigenen, ganz persönlichen Erfahrungen decken. Man liest Dalmore Jazz und man liest ein wenig Mara Laue.
Ich halte eine weitere Entwicklung ihrer Schreibfertigkeiten, aber auch eine Weiterentwicklung der Komplexität der eigentlichen Kriminalfälle für sehr wahrscheinlich und wünschenswert.

Ein wirklich guter Kriminalroman, der einige wenige Längen hat, aber eine runde Mischung Privates, Rätselhaftes und Exotisches in sich vereint.

*  *  *
Erschienen am: 1.03.2014
Verlag: Goldfinch (Dryas)
Seiten: 296 (Taschenbuch)
ISBN:978-3-940258-31-1
Preis: 12,95 € [D]
Website der Autorin: www.mara-laue.de


Weitere Bände um Rowan Lockhart:

1. Singleton Soul (2013)


2. Dalmore Jazz  (2014)

Weitere in Bearbeitung


Montag, 12. Mai 2014

Analytisch, schockierend, abwägend, antreibend, umwerfend

Juan Pablo Cardenal | Heriberto Araújo
Der große Beutezug
Chinas stille Armee erobert den Westen




Ein Rachefeldzug gegen den Westen, noch immer aus den Wunden des Opiumkrieges blutend?

Großherzigkeit gegenüber Schwellen- und Entwicklungsländern, die dringend Chinas Däumchen für Infrastruktur brauchen? Fest steht, dass Chinas Einfluss sich enorm verbreitet, und schon wir W(r)estler sitzen mit im Boot, scheinbar gefesselt und geknebelt, oft mit einem undurchsichtigen Band, um unseren Kopf gewickelt, unser Augenlicht unnütz machend. 

Es ist nicht nur der Tiger in Sibirien, der seinesgleichen frisst, weil es keine Eichen mehr gibt, die das Wildschwein fressen könnte, welches wiederum vom Tiger gefressen würde - es sind auch Ikea und die westliche Gleichgültigkeit, wenn es um echtes Handeln geht. In Deutschland ist man empfänglich für Skandale und kann wie selten ein anderes Volk über die Verantwortlichen schimpfen. Aber wer denkt schon daran, an sich selbst etwas zu ändern, um wirklich etwas zu bewirken?
Es ist nicht nur der böse chinesische Panda, der die Welt erobern will - dahinter steht ein menschliches Volk mit individuellen Schicksalen, Kämpfern gegen Regime und Willkürherrschaft.
Wenn wir unseren Planeten, seine natürlichen Ressourcen und die Leben unzähliger misshandelter Arbeiter schützen wollen, wäre schon das bewundernswert: Wenn wir unsere Augenbinden abnehmen und versuchten, uns gegenseitig die Fesseln zu zerreißen. 

Die beiden Spanier schaffen Bemerkenswertes: Ganz und gar ohne Seriosität einzubüßen, verwandeln sie von Zeit zu Zeit ein Sachbuch in einen Thriller und wieder zurück. Eine (Rück-)Metamorphose, die nicht nur eine gewisse Anerkennung gegenüber den Autoren vertieft, sondern auch einen andersartigen bleibenden Eindruck beim Leser hinterlässt. Die Sicht auf die Welt, globale Ereignisse und Gegebenheiten wird geschärft, wenn auch mit dem Fokus auf mögliche chinesische Interaktion: Da hat China sicher seine Finger mit drin!

Als ich für zwei kurze Wochen Tourist in China war, oder Austauschschülerin, oder eine Marionette der chinesisch-deutschen Freundschaft, bekam ich denselben Eindruck wie die beiden Autoren, was insbesondere die fehlende Transparenz der Chinesen angeht. Bei den Schülern war es wie ein unverschuldetes Unwissen, bei den Dolmetschern, Direktoren, Lehrern jedoch schien es mir ein durchdachte Strategie zu sein. Während die Chinesen uns gegenüber vollkommen undurchsichtig sind, bewerkstelligen sie es, uns für sie zu einem offenen Buch zu machen. Der Dolmetscher verstand Deutsch sehr viel besser, als er vorgab, es sprechen zu können. 
Kleinste Informationen, so unwichtig sie uns erscheinen mögen, erreichten in Lichtgeschwindigkeit die Ohren der Einflussreichen. 

Wir schliefen (manchmal) in den besten Hotels, erfuhren den besten Service, und doch wirkte es nicht gastfreundlich. Lag vermutlich an dem gruseligen, prüfenden Blick, der stets auf allem lag, was die seltsamen Westler so taten. Als die jungen Chinesen in Deutschland waren, konnte plötzlich jeder, selbst das Mädchen, dessen Familie sich keine Dusche leisten konnte,  über Tausend Euro für Uhren aufbringen, vermeintliche Geschenke für die Familie. Mag sein, dass extra für diesen Augenblick gespart wurde (jahrzehntelang), es kann aber auch sein, dass das Image Chinas im Westen ebenso beeinflusst wird wie im fernen Osten. Von ganz oben.
Und doch täuschte all das nicht über die enorme Armut im eigenen Land hinweg, verbunden mit einer ebenso enormen Arbeitskraft - paradox?

Genauso konsequent vermied es zumindest meine chinesische Mitbewohnerin, irgendwie Kontakt zu westlichem Sein zu bekommen - abgesehen vom Bier, von dem sie dachte, dass auch dreizehnjährige Deutsche ihn wie Wasser trinken. Was wohl in manchen Städten zutrifft, aber davon ist hier nicht die Rede. Ich weiß schon, dass meine Ansichten mit Vorurteilen behaftet sind, die meine Meinung beeinflussen.
  Mein Abschweifen sollte verdeutlichen: Chinas Elite ist auf Macht und Einfluss aus. Überall; auch im Westen. Auf persönlicher Ebene ist das durch geplantes Schauspiel zu beobachten. Der große Beutezug beleuchtet das Thema auf einer globaleren, sehr wirtschaftlichen Ebene, die jedoch auch für einen Wirtschaftsunwissenden wie mich durchaus lesens- und begreifenswert ist. 

Fast jeder Buchautor, egal welchen Genres, steckt oft Jahre in seine Projekte, wenn man beispielsweise auch die Recherche miteinbezieht. 
Die Autoren sind europäische Journalisten und leben in China. Das reicht für gewöhnlich schon für eine gewisse Glaubwürdigkeit. Die Arbeit, die in diesen Enthüllungen steckt, auch wenn diese nicht ganz unbekannt waren, ist unfassbar. Wie oft hätte man die Señores einfach erschießen und dieser gefährlichen Recherche ein Ende bereiten können? Und wie oft wäre es beinahe dazu gekommen? 

Zahlreiche Interviews, ein Beleuchten beider, positiver sowie klar negativer Seiten, Mut zum Risiko zeichnen den Informationsfluss aus. Manchmal fühlt es sich nicht wie ein Sachbuch an. Wie schon erwähnt, eher wie ein Thriller, der unterschiedlichste Gefühle, vor allem aber Wut auslöst. Manchmal wirkt es wie ein Reiseführer oder ein Roman, in welchem Orte und Momente und Menschen sehr persönlich, fast poetisch beschrieben werden. Detaillierte Anmerkungen vertiefen die unterschiedlichsten Themenbereiche und verlocken den Leser zu weiterem eigenen Nachforschen. In ihnen wird wiederum die Gründlichkeit der Journalisten widergespiegelt. 

Ich habe ja tatsächlich jede einzelne Anmerkung durchgelesen und mir fiel auf: Es gibt ja schon so viel Literatur zu dem Thema. Ich kannte nichts davon.
 Jeder Autor muss diese mindestens kleine Hoffnung in sich tragen, die Welt aufmerksamer machen zu wollen, vielleicht ein wenig zu verändern. Ich muss zugeben, ich habe nicht die geringste Ahnung, ob sich inzwischen wirklich etwas verändert hat (und wenn doch, dann weiß ich nicht, ob zum Guten oder Schlechten oder einfach anders). Eines weiß ich. Dass ich dieses Buch einfach jedem empfehle, egal, wie teuer es ist und egal, wie wenige Leser sich wirklich für Sachliteratur interessieren.
Ich bin nur eine einzige Person, aber ich habe das Buch gelesen, wurde wütend, habe meinen Eltern und Freunden davon erzählt und diesen vermutlich viel zu langen Text geschrieben - vielleicht hat es sich dafür schon gelohnt.



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Erschienen am: 3.02.2014
Verlag: Hanser
Seiten: 390 (Hardcover)
ISBN: 978-3-446-43871-2
Preis: 24,90 € [D]
Bildquelle: Hanser (hier geht es auch zu Autoreninformationen)
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Für das Rezensionsexemplar bedanke ich mich noch einmal herzlichst bei: