Kammern des Schreckens

Donnerstag, 11. September 2014

Zum Anbeißen

Richard C. Morais
Madame Mallory
und der Duft von Curry



Hassan erblickt nicht nur einfach das Licht der Welt, er erschnüffelt es. Nein, nicht wie ein Hund. Auch nicht wie Grenouille, nicht einmal annähernd. Also noch einmal von vorn: Als Hassan geboren wird, seine Sinne für die Welt geöffnet werden, untermalt der Duft scharfen Currys die Szene. Das prägt maßgeblich sein späteres Leben als Koch, ist aber keineswegs der Grund für sein unglaubliches Talent (er hat es einfach): ein seltenes Gespür dafür, was wirklich schmeckt und wie man es zubereitet. Zufällig treibt das Schicksal seine Familie aus ihrer Heimat und quer durch Europa, zu einer kulinarischen Reise der Extraklasse. Haften bleibt unser Protagonist in Frankreich, wo seine Gabe sich erst entfalten kann. Dies ist die Geschichte einer ungewöhnlichen Karriere.


Das Cover und die Form des Buches zum Film wirken gewissermaßen irreführend. Suggeriert wird offensichtlich eine Liebesromanze mit französisch-exotischem Touch. Das ist doch Quark. In Wirklichkeit geht es um viel mehr als das, in Wirklichkeit ist das Ganze sehr viel kreativer und auf keinen Fall derartig fad. Man kann da wirklich nur die Nase rümpfen. Das tue ich in diesem Augenblick sogar.
Mit interessanten und charmanten, oftmals eigensinnigen Charakteren bietet Madame Mallory und der Duft von Curry (auch: Madame Mallory und der kleine indische Küchenchef) so viel mehr als ein immergleicher Nicholas Sparks. Nichts gegen Nicholas Sparks.

Der Roman hätte auch heißen können: Kochen mit Buchstaben. Wobei es sich weder um Buchstabensuppe noch um Russisch Brot handeln dürfte, denn das mag ich beides nicht. Ich werde paranoid, wenn mein Essen mir Botschaften sendet. Also: Kochen mit Buchstaben. Oder: Morais - ein Künstler. Wie man ein Buch schreibt, das beim Lesen Düfte absondert. Kleingedrucktes versichert dem Leser: Garantiert ohne Furz und Käsefüße.

Aber jetzt mal im Ernst. Selten passiert es mir, dass ich bei Beschreibungen von Düften, Lebensmitteln und Gerichten - in einem Roman, wohlgemerkt - Opfer einer übermäßigen Speichelproduktion werde.
Die Atmosphäre ist dicht und überaus plastisch. Als Leser wird man auf die Reise der indischen Familie mitgenommen und sieht die Orte so deutlich vor Augen, als ob sie wie in einem Videospiel vor des Lesers Nase generiert würden. Mit Geräuschen, Menschen, Gerüchen, mit der individuellen Stofflichkeit der Szene. Also doch eher ein Videospiel mit futuristischer Umsetzung.

Die vielen Zeitraffer und Ortswechsel können jedoch auch das Gegenteil bewirken, das kommt auf den Leser an. Wer eine Vertiefung braucht, eine Art Omnipräsenz von einem gewissen Ort und bekannten Gesichtern, der wird womöglich mit der Dynamik der Handlung nicht unbedingt warm. Tatsächlich wirkt das Geschriebene eher wie eine Biografie, wobei man nicht vergessen darf, dass jedes Leben ein Abenteuer ist. 

Dieses wird durchzogen von einer gehörigen Portion Familienzusammenhalt, einem kleinen bisschen Liebe und vor allem: Frankreich. Paris. Nach all den Eindrücken verschiedenster Orte hier einer, an dem die Geschichte auf ihre Art sesshaft wird. Ich halte nicht unbedingt viel von dem Mädchenfilm-Image von Paris, aber während ich mich quasi selber dort befand, liebte ich es. Einfach, weil Liebe hineingeschrieben worden ist. Während ich das hier abtippe, befinde ich mich selbstverständlich wieder außerhalb der Geschichte. Und bin auch kein Fan von Paris mehr. 

Der Fokus bleibt allerdings bei Hassans Karriere. Wer schnulzige Romantik erwartet, erhofft, muss rechtzeitig die Leiter von seiner siebten Wolke wieder hinunter zur Erde finden. Oder sie löst sich unter seinem Hintern auf. Dann könnte im Grunde alles passieren. Hinge von unzähligen Faktoren ab, zum Beispiel von der eventuellen Existenz von Schonern, Helm, sonstigem Körperschutz. Außerdem ist wichtig, worauf man fällt. Und, falls die Wolke sich über einem Ozean auflöst, der Grad der von dessen schuppigen und nichtschuppigen Bewohnern ausgehenden akuten Gefahr. Was sich kompliziert ausdrücken lässt, geht eigentlich auch einfach. Rosarote Brille ab, Horizont erweitern. Hat auch, wenn man darüber nachdenkt, einige Vorteile. Wenn man diese dann nutzt, wie eine plötzliche Lust, sich am Herd zu versuchen, können die passenden Rezepte im Anhang des Buches eine Inspirationsquelle darstellen. 

Resümierend sollte man froh sein, dass dieser besondere Roman verfilmt worden ist. Welch ein Sakrileg, verschwände er im Sumpf der vergessenen Geschichten.
 Wenn man ihn ausgelesen hat, fühlt man sich so satt wie nach einem üppigen Mahl. Zufrieden satt. So zufrieden, dass man die oberen Knöpfe seiner Hose öffnen und seinen irgendwie riesig gewordenen Bauch liebevoll betätscheln will. Ein tolles Buch. 

*  *  *
Erschienen am: 11.08.2014
Verlag und Bildquelle: Piper
Extras: farbige Filmbilder, Rezepte im Anhang
Seiten: 400 (Taschenbuch)
ISBN: 978-3-492-30620-1
Preis: 9,99€ [D]

Alternativ: Madame Mallory und der kleine indische Küchenchef (keine Filmversion)
Erschienen am: 12.11.2012
Verlag: Piper
Seiten: 400 (Taschenbuch)
ISBN: 978-3-492-30132-9
Preis: 9,99€ [D]

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