Kammern des Schreckens

Sonntag, 2. November 2014

Von Männern, die nicht wissen, dass sie kahl werden

Haruki Murakami
Von Männern, die keine Frauen haben


Murakami, von einer ganz anderen und doch der altbewährten Seite.


Letztens habe ich in diesem Buch gelesen, während einer Vorlesung, und mir die Frage gestellt: Was für Probleme müssen Männer haben, die frauenlos sind?
Mein Blick wanderte über die vorderen Reihen, von Hinterkopf zu Hinterkopf. Viele maskuline Hinterköpfe beginnen bereits, licht zu werden. Fast schon richtige Glatzen, finde ich, ohne, dass die Kopfbesitzer es auch nur erahnen. Sie haben ja keine Frau, die sie von hinten sehen und darauf aufmerksam machen können. Aber ist das ein Problem, oder ein Umstand, von dem man möglichst lange nichts wissen möchte?

In wenigen Tagen wird Murakami der "Welt"-Literaturpreis 2014 verliehen, nicht nur dafür, dass er ebenso über Haarlosigkeit philosophieren kann, wie ich. Er kann, was man als guter Autor können muss: Welten erschaffen. Das macht er dann auf eine Weise, als sei er der literarische Salvador Dalí unserer Zeit.

Von Männern, die keine Frauen haben: Das klingt ja eher real, weniger surreal. Alltäglich sogar. Das sind beinahe die meisten der Geschichten. Sie handeln von Männern, die es so höchstwahrscheinlich auch gibt. Man liest, dann schaut man sich den Nachbarn an, der sein Bier stets einsam trinkt und nur zu duschen scheint, wenn es unbedingt nötig ist. Egal, wann oder wobei man ihn sieht. Dieser Mensch ist plötzlich ein Spiegel in eine andere Welt. Murakami macht's möglich, aber ich entschuldige mich hiermit bei all den Männern, die auch frauenlos wunderbar funktionieren. Metaphern leben nun einmal von Klischees.

Jede Geschichte ist geheimnisvoll. Man munkelt und will wissen, wie viel von dem beliebten Autor in den Figuren stecken mag, und, wenn überhaupt, welch seltsame, teils erschreckende Erfahrungen der arme Kerl schon gemacht haben muss. Immerhin, umso besser für den Interessantheitsgrad der Handlungen.
 Der für ihn typische, düstere Surrealismus ist präsent, sodass ein geübter Murakami-Gernleser nicht von diesem Werk enttäuscht sein kann. Dass die deutsche Version noch vor der englischen publiziert wurde, passt jedoch zu dem einzig negativen Punkt, der mich allerdings nur zu Beginn störte. Die Übersetzung wirkt gewissermaßen gehetzt, es wurde zunächst wenig auf einen abwechslungsreichen Wortschatz geachtet, viele Worte wiederholen sich. So, dass man ein Trinkspiel daraus machen könnte. Das gibt sich jedoch, man muss sich nicht einmal sonderlich dran gewöhnen.
(Betrunken ist man dann trotzdem schon. Oder fühlt sich Murakamis Schreibstil wie Betrunkenheit an? Wenn ich so darüber nachdenke, ja.)


Anscheinend wurde die Gelegenheit genutzt, mal eben auch der Literatur, dem Schreiben an sich und Vorbildern zu huldigen. Der Titel bezieht sich auf Hemingways Men Without Women.

Bemerkenswert ist diesbezüglich auch die Geschichte Samsa in Love, eine Umkehrung der berühmten Kafka-Erzählung Die Verwandlung: Hier verwandelt sich nicht Gregor Samsa in einen Käfer, sondern ein Käfer in Samsa. Wie würde sich ein Insekt fühlen, wenn es plötzlich mit den schrägen sexuellen Instinkten eines menschlichen Mannes konfrontiert würde? Liebe ist eine seltsame Angelegenheit, soll das heißen. Hinter all dem Alltäglichen, dem Gewohnten der Gefühle und des Körperlichen steckt stets etwas, das Lächerlich ist oder zumindest unbegreiflich. Immer neu. Vor allem kann der Schlag einen auch treffen, wenn die Welt um einen herum zusammenbricht (oder gerade dann). Die wahren Probleme und Interessen der Menschheit sind geschlechtlichen Ursprungs, könnte man meinen. Gleichzeitig ist es möglich, dass es sich hierbei einfach um eine faszinierende Geschichte der Faszination willen handelt. Die Interpretationen gefallen mir trotzdem.
[Seite 30] „Der zwischenmenschliche Umfang, besonders der zwischen Mann und Frau ist - wie soll ich sagen? - zu komplex. Verschwommen, selbstsüchtig, schmerzhaft.“
Dieses Buch ist Futter, wie ein nicht sättigendes, eher Lust auf mehr machendes Menü aus sieben Gängen. Ein bisschen Liebe zur Literatur, ein bisschen Liebe zu Frauen, ein bisschen Liebe zum Seltsamen, ein bisschen Liebe zur Liebe.
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Verlag und Bildquelle: DUMONT
Erschienen am: 4.10.2014
Seiten: 254 (Hardcover)
ISBN: 978-3-8321-9781-0
Preis: 19,99€ [D]